Für die Bewohner in Pflegeheimen spitzt sich die Lage zu: Es entsteht eine kritische Versorgungslücke, wenn ein Hausarzt fehlt, der Medikamente verordnet und bei gesundheitlichen Veränderungen gerufen werden kann. Denn ohne ärztliche Verordnung dürfen die Pflegekräfte eines Pflegeheims keine Behandlungspflege leisten. Basis für den Versorgungsvertrag eines Pflegeheims mit den gesetzlichen Pflegekassen ist, dass das Heim die Vorgaben eines landesweit gültigen Rahmenvertrags gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI einhält. In Baden-Württemberg werden Pflegeheime darüber verpflichtet, medizinische Behandlungspflege zu erbringen. Dass es an der Voraussetzung dafür mangeln könnte, weil keine ärztliche Betreuung existiert, ist im System schlicht nicht vorgesehen. Und dafür regelmäßig einen Notarzt einzuschalten steht im Widerspruch zu seiner eigentlichen Funktion und käme einem Missbrauch gleich.
Haus Heckengäu in Heimsheim betroffen
In dieser schwierigen Situation befindet sich aktuell das Haus Heckengäu, ein Pflegeheim des Wohlfahrtswerks für Baden-Württemberg in Heimsheim. Eine Hausarztpraxis wurde zum 01.04.2022 geschlossen. Nach Ankündigung der Praxisschließung startete das Haus Heckengäu bereits im Januar die Suche nach einem neuen Hausarzt für 20 Bewohner – bislang vergeblich. Nach Absagen der verbliebenen Hausarztpraxen wandte sich die Einrichtungsleitung Mitte Januar an die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), zu deren Auftrag die Sicherstellung der medizinischen Versorgung zählt. Im Mai kam die ernüchternde Antwort: Die KVBW konnte keine Praxis ausfindig machen, die weitere Patienten aus dem Haus aufnimmt.
Seit März vergibt das Haus Heckengäu frei werdende Plätze nur an Interessenten, die ihren Hausarzt „mitbringen“. Der Hausarztmangel hat für die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen bislang völlig unbeachtete Konsequenzen. „Schon länger ist die ärztliche Betreuung ein Problem bei Interessenten für die Kurzzeitpflege, die ja meist kurzfristig eine Versorgung benötigen und teils weiter entfernt vom Wohnort für bis zu zwei Monate im Heim versorgt werden. Dass ein Mangel der ärztlichen Versorgung nun auch einen wohnortnahen Umzug zur Langzeitpflege verhindert, ist bitter“, so Ingrid Hastedt, Vorstandsvorsitzende des Wohlfahrtswerks für Baden-Württemberg.
„Für uns als Haus ist das eine katastrophale Entwicklung“, erklärt Einrichtungsleitung Christiane Köhlerschmidt. „Wir müssen jetzt Menschen ablehnen, die ihr ganzes Leben hier am Ort verbracht haben, obwohl wir einen Platz für sie hätten.“ Grundsätzlich schwierig ist die Ansprechbarkeit der Arztpraxen vor Ort auch in der aktuellen Urlaubszeit. Es muss sich also dringend etwas in der Region ändern. Wie die Kassenärztliche Vereinigung informierte, wird derzeit an neuen Konzepten gearbeitet, um die Problematik aufzulösen. Das Wohlfahrtswerk hat sich als Entwicklungspartner angeboten, um diese Innovation voran zu treiben. „Wir wollen nicht das Hausarztsystem in Frage stellen. Aber wir benötigen eine handhabbare Lösung, um unsere Bewohner bedarfsgerecht versorgen zu können“, erklärt Ingrid Hastedt.
Bildunterschrift:
Richten und Gabe von Medikamenten zählt zu den Aufgaben der Behandlungspflege.
© Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg
Über das Haus Heckengäu
Das Haus Heckengäu in Heimsheim (Enzkreis) verfügt über 60 Plätze im Pflegeheim, davon 6 Plätze für die Kurzzeitpflege. Im Haus befindet sich auch eine Tagespflege für Senioren mit 12 Plätzen. Benachbart ist die Seniorenwohnanlage Sonnenbühl mit 18 Appartements. Weitere Informationen zum Haus Heckengäu finden Sie auf www.wohlfahrtswerk.de/haus-heckengäu.
Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg
Das Wohlfahrtswerk engagiert sich seit Jahrzehnten für die Weiterentwicklung von Wohnformen im Alter und damit zusammenhängenden Berufsprofilen. Aktueller Entwicklungs-Schwerpunkt der Stiftung bürgerlichen Rechts ist ein die Ausdifferenzierung von Dienstleistungen für die Häuslichkeit. Dazu zählen die leistungsrechtlich neuen ambulanten Betreuungsdienste, die Nutzung digitaler Instrumente durch pflegende Angehörige, Empowerment von Senioren in der digitalen Welt, die Qualifizierung von Alltagsbegleitern ebenso wie Einsatzprofile von Pflege-Akademikern.
Die Stiftung betreut rund 2.000 ältere Menschen in ihren Pflegeheimen und Seniorenwohnanlagen. Hinzu kommen Mobile (Pflege-)Dienste, eine eigene Entwicklungsabteilung und ein großes Bildungszentrum. Dem Stiftungsauftrag dient auch die Herausgabe der 2022 im 169. Jahrgang erscheinenden Fachzeitschrift ‚Blätter der Wohlfahrtspflege‘. Das Wohlfahrtswerk ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband.