Um eine pflegebedürftige Person zu versorgen, müssen viele Aufgaben im Blick behalten werden: Neben der Körperpflege sind das beispielsweise die Gabe von Medikamenten, die Koordination von Terminen beim Arzt oder beispielsweise der Besuch einer Seniorengruppe. Teilen sich wenige Personen diese Aufgaben, kommen sie häufig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Neben der eigenen Familie oder professioneller Unterstützung durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste sind Freunde, Bekannte oder Nachbarn mögliche Helfer, denen Teilaufgaben übertragen werden können. In der Praxis scheitert dies häufig am Bedarf klärender Absprachen und mangelnder Verbindlichkeit. Das Team des Forschungsprojekts HERO ging daher der Frage nach, wie digitale Hilfsmittel bei der Bildung eines verlässlichen Pflegenetzes unterstützen können.
App „ease“ koordiniert Aufgaben
Zu Beginn des Projekts wurde eine umfassende Anforderungsanalyse mit einem Workshop an der Hochschule Osnabrück durchgeführt. Um die Perspektive des professionellen Pflege- und Betreuungsdienstes abzubilden, wurden zwei Leitungskräfte des Wohlfahrtswerks interviewt. Anhand der Erkenntnisse wurde das Konzept für die App „ease“ entwickelt, die ausgehend von einer Hauptpflegeperson, Aufgaben definiert und hilft, deren Erledigung zu koordinieren. Ein Vorteil gegenüber bekannten Netzwerk-Apps wie Threema oder WhatsApp ist, dass auch Dokumente hinterlegt werden können, wie Vorsorgevollmachten oder Medikamentenpläne. Für Notfallsituationen oder Arztbesuche sind die Teilnehmer damit gut gerüstet.
Eine wichtige Anforderung an die App war die Datenschutzkonformität: Sensible Daten über eine Person dürfen nicht beliebig weiter teilbar sein, daher können innerhalb der App verschiedene Rechte vergeben werden. Wer nur Leserecht hat, zeigt ein Dokument beim Arzt auf dem Handy vor, kann es aber nicht weiterleiten. Übernimmt beispielsweise ein Enkelkind die Aufgabe, Obst und Milch zu besorgen, braucht es keine Leserechte für ärztliche Diagnosen und die Ansicht kann entsprechend eingeschränkt werden. Für professionelle Pflege- und Betreuungsdienste wäre die Kommunikation über die App eine Erleichterung, um beispielsweise über den tagesaktuellen Gesundheits- oder Gemütszustand der anvertrauten Person zu informieren. Zur Stärkung des Zusammenhalts innerhalb des Teams können sozialpositive Funktionen in der App genutzt werden, z. B. das Teilen von Fotos mit der gepflegten Person.
Positive Rückmeldungen der Probanden
Im Rahmen einer sechswöchigen Testphase kam die App in der Zielgruppe zum Einsatz. Pflegende Familien und Nutzer der Mobilen Dienste Wohlfahrtswerk an der Else-Heydlauf-Stiftung sowie pflegende Angehörige aus dem Großraum Osnabrück wurden dafür gewonnen. Insgesamt neun Netzwerke um eine pflegebedürftige Person konnten untersucht werden. Sie wurden während des gesamten Tests von den Mitarbeitenden durch telefonische Unterstützung oder per Email begleitet, um aufkommende Fragen zu klären. Das Ziel der Feldtestung war herauszufinden, ob sich die Hauptpflegeperson in ihrem Alltag durch die Nutzung der App unterstützt und entlastet fühlt. Darüber hinaus wurden die Nutzererfahrung und das Nutzerverhalten analysiert, um die App und ihre Anwendung einfacher und intuitiver zu gestalten.
Die Probanden schätzten vor allem die Übersicht der Aufgaben mit der entsprechenden Zuteilung als hilfreich ein und begrüßten daher die Idee der App. Als Erleichterung empfanden die Probanden zudem die resultierende Abgrenzung der Aufgaben für die gepflegte Person von weiteren familiären Angelegenheiten. „Klarheit darüber zu haben, was zu tun ist und Verbindlichkeit, wer sich darum kümmert, schafft die nötige Entlastung für hauptsächlich pflegende Personen. Dabei erlaubt die App aber auch Flexibilität: Kann eine Person an einem Tag nicht helfen, besteht unkompliziert die Möglichkeit, im Netzwerk Ersatz anzufragen“, erklärt Mareike Drescher, beim Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg verantwortlich für das Projekt.
Digitalisierung bleibt Herausforderung
Grundsätzlich bleibt das Thema „Digitalisierung“ eines, in das pflegende Personen hineinwachsen müssen. „Wir konnten beobachten, dass Personen gegenüber der Nutzung der App aufgeschlossener sind, wenn sie dabei begleitet werden. Wer die Funktionsweise erklärt bekommt, weiß die Vorteile der Anwendung zu schätzen und kann die Möglichkeiten für sich einsetzen. Die kostenfreie Bereitstellung wird nicht ausreichen, um kollaborative Netzwerke für ältere Menschen zu stärken“, fasst Mareike Drescher zusammen. Hier gilt es auch in Zukunft Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Probanden des Projekts bestätigten die Vorteile der App und gaben an, sie auch darüber hinaus nutzen und weiterempfehlen zu wollen. Für künftige Projekte offen bleibt der Wunsch nach der praktischen Einbindung ambulanter Pflegedienste und Arztpraxen.
Die App ease (Prototyp) steht für die nächsten zwei Jahre kostenfrei in den gängigen App-Stores zur Verfügung. Ein Einführungsvideo und eine Bedienungsanleitung wird auf der Projekt-Homepage zur Verfügung gestellt: www.projekt-hero.de
Die Projektpartner:
- Ascora GmbH
Konsortialführung; Entwicklung der Softwarearchitektur - Hochschule Osnabrück – Medienlabor
UX-Entwicklung und Usability-Testing - Hochschule Osnabrück – Pflege- und Sozialwissenschaften
Anforderungsdefinition, Vorbereitung und Evaluation der Usability-Tests - Snoopmedia GmbH
Implementierung von Schnittstellen und visuelle Informationsaufarbeitung - Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg
Feldtests im Betreuten Wohnen und in den Mobilen Diensten,
Öffentlichkeitsarbeit, projektbegleitende Maßnahmen
Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg
Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg ist eine Stiftung des bürgerlichen Rechts und wurde 1817 von Königin Katharina von Württemberg gegründet. An 19 Standorten in Baden-Württemberg betreibt die Stiftung Pflegeheime und Seniorenwohnanlagen. Dazu kommen ambulante Dienste, mobile Essensdienste sowie ein eigenes Bildungszentrum.